Was machen die Weisen eigentlich mit dem Jesuskind?

„Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“ So stellen sich die Sterndeuter aus dem Morgenland in Jerusalem vor und setzen die ganze Stadt in Aufruhr mit ihrer Frage – so beschreibt es der Evangelist Matthäus 2,1-13 in seinem Bericht über den Besuch der Weisen aus dem Morgenland bei dem neugeborenen Jesuskind. So will ich mal heute an Epiphanias etwas schreiben über diese Geschichte, bzw. ein Detail.

„Wir sind gekommen, ihn anzubeten.“ Zumindest steht es so da, wenn ich die Lutherübersetzung von 2017 aufschlage. Bei dem Begriff „ihn anzubeten“ findet sich eine Anmerkung, in der steht: „Andere Übersetzung: ihm zu huldigen.“

Da scheint also eine Ungewissheit darin zu liegen. Was machen die Weisen denn eigentlich mit dem Jesuskind?

Die Advents- und Weihnachtsfrömmigkeit unserer Krippen und Krippenspiele, auch der Lieder, ist sehr stark von dem Gedanken geprägt, dass Menschen zur Krippe kommen und dort das neugeborene Kind anbeten. In dem Klassiker „Ihr Kinderlein, kommet“ heißt es in der vierten Strophe: „O beugt wie die Hirten anbetend die Knie, erhebet die Hände und danket wie sie“ (EG 43,4). Bei den Krippenfiguren sind in der Regel Hirten und auch Könige dabei, die auf den Knien verharren, die Hände in einer Art Gebetshaltung.

Das ist kein Nebenaspekt der Weihnachtsgeschichte. Wenn im Neuen Testament Menschen zum Jesuskind kommen und es anbeten, dann würde das bedeuten, dass sie sich schon dessen bewusst sind, den wahren Gott in Menschengestalt vor sich zu haben.

Der erste Anstoß für mich, mich mit diesem Thema einmal zu beschäftigen, war der Matthäuskommentar von Sayyid Ahmad Khan, der einen ganzen Abschnitt dieser Frage widmet:

Einige Christen behaupten, dass der Erhabene Messias (Allahs Segen und Frieden über ihn) ein Gott sein müsse, weil sich die Weisen vor ihm niederwarfen [und ihn damit angebetet hätten]. Aber dieses Argument ist weder in den Augen von uns Muslimen stechend, noch in den Augen der kritischen christlichen Wissenschaftler. Wenn der Begriff Niederwerfung genau genommen wird, dann bedeutet er eine respektvolle Niederwerfung, wie sie auch in der frühen Scharia nicht verboten ist. Falls das Wort bedeuten soll „zu den Füßen niederfallen“, wie es in östlichen Ländern vor großen Königen üblich ist, gibt es auch keinen Raum für Zweifel. [. . .] Man kann daraus nicht ableiten, dass die Weisen Jesu Göttlichkeit im Sinne hatten, wie manche früher meinten.

Näheres zu diesem Kommentar in meinem Beitrag dazu in der „Bibel der Anderen“.

Mit der Stirn auf den Boden!

Wer das Neue Testament übersetzt, stößt immer wieder auf das Wort proskyneo, das eine Geste des sich Niederwerfens beschreibt. Unser Alttestamentler in Greifwald, Prof. Willi, pflegte dazu immer zu sagen „mit der Stirn auf den Boden“, und deutete eine Verbeugung an, ähnlich wie es bis heute Muslime beim Gebet tun.

Wenn ich mich auf diese Weise vor einem Gott niederwerfe, ist es eine Geste der Anbetung. Wenn ich mich vor einem Herrscher niederwerfe, ist es eine Huldigung, eine Geste der Unterwerfung und Verehrung.1 Was haben die guten Weisen denn nun vor mit dem Jesuskind?

Dreimal kommt das Wort im Text vor. Das erste Mal habe ich schon zitiert:

„Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“

Mt 2,2

Dann, weiter unten, stellt König Herodes seine Falle auf:

Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.

Mt 2,7-8

Und schließlich am Ende:

[Sie] gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Mt 2,11

Kein Jude – sei es König oder Hirte – hätte einen Menschen oder ein Tier angebetet

Man könnte sich eventuell mit Phantasie vorstellen, dass heidnische Sterndeuter ein übernatürliches Kind anbeten, aber dass der jüdische König Herodes gleichfalls davon spricht, dass er – und sei es nur zum Schein – das Kind anbeten will, hat schon fast absurde Züge. Kein Jude, sei es König oder Hirte, hätte einen Menschen oder ein Tier angebetet. Wer das tut, verlässt den Raum des Judentums. Und dass der verheißene Messias gleichzeitig der auf Erden erscheinende Gott ist, konnte sich damals auch kein Jude vorstellen.

Das ist hier von mir jeweils alles nach Luther 2017 zitiert. Ich wollte hier eigentlich keinen Rant über die Lutherbibel veranstalten, aber es bleibt leider nicht aus. In fast keiner anderen deutschen Bibelübersetzung wird das Kind angebetet:

  • Die Zürcher Bibel, die Elberfelder und die Einheitsübersetzung schreiben „huldigen“,
  • die Neue Genfer Übersetzung und Hoffnung für alle übersetzen „ihm Ehre zu erweisen“.
  • Und die Gute Nachricht bleibt an dieser Stelle mal ungewohnt wörtlich: „Wir sind gekommen, um uns vor ihm niederzuwerfen.“
  • Die Zürcher Bibel weiß übrigens schon in ihrer alten Fassung von 1931, dass die Sterndeuter „huldigen“ wollen, auch die 1980er Einheitsübersetzung hatte das schon so.
  • Die Basisbibel, ebenfalls aus dem Hause der lutherisch geprägten Deutschen Bibelgesellschaft ist die einzige neben Luther 2017, die schreibt: „um ihn anzubeten“, und das, ohne LeserInnen mit Anmerkungen zu belasten.

Die Lutherübersetzung ist in ihrer Revision bei der Behauptung geblieben, die Sterndeuter seien gekommen, um anzubeten. Die Anmerkung, dass auch „huldigen“ übersetzt werden kann, steht nur in Vers 2. An den anderen Stellen müsste man sich das dazudenken.

Es gibt im Neuen Testament immer wieder Menschen, die sich vor Jesus niederwerfen. In Kapitel 8 kommt ein Leprakranker und wirft sich nieder. Da hieß es in der Lutherausgabe 1912 noch ganz unbefangen: „Und siehe, ein Aussätziger kam und betete ihn an und sprach: Herr, so du willst, kannst du mich wohl reinigen“ (Mt 8,2). 2017 wusste man es schon besser: „Und siehe, ein Aussätziger kam heran und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen.“

Eine Absonderlichkeit lutherischer Bibelübersetzung?

Tja, liebe Herausgeber der Lutherbibel, es geht doch! Warum wollen die Könige immer noch anbeten? Ist es ein konfessioneller Unterschied? Für die Reformierten hat schon der Reformator Calvin (1509-1564) in seinem Matthäuskommentar geschrieben:

Sie sind nicht gekommen, um Christus fromme Verehrung darzubringen, wie es sich für den Sohn Gottes gebührt, sondern sie wollten ihn grüßen, gemäß persischem Brauch, als einen hervorragenden König.2

Für Luther war die Anbetung durch die Weisen noch normal. Er spricht in einer Weihnachtspredigt davon dass zu dem Kind die „Weisen aus dem Morgenland gezogen sind und es angebetet haben.“3

Ich denke, die Frage ist damit geklärt. Matthäus beschreibt in seiner Geschichte über die Sterndeuter Menschen, die erkannt haben, dass dieses Kind ein hervorragendes Kind ist, durch geheimnisvolle Zeichen am Himmel zu erkennen und durch die Verheißungen der alten Schriften vorhergesagt. Sie kommen, um diesem Kind die gebührende Ehre zu erweisen und ihm zu huldigen. Den Gedanken, dass Weise und Hirten schon bewusst den erschienen Gott angebetet hätten, können wir getrost abhaken.

  1. Rammohan Roy, der Protagonist meiner Dissertation, beschäftigt sich auch mehrmals mit der Bedeutung von proskyneo, aber nicht im Zusammenhang mit Mt 2. ↩︎
  2. Calvin’s Commentaries (22 Vols.), Text nach der 1847 von der Calvin Translation Society veröffentlichten englischen Ausgabe, von mir übersetzt. ↩︎
  3. Martin Luther: Zweiter Weihnachtstag. Luk. 2, 15-20. Martin Luther: Gesammelte Werke, S. 5121
    (vgl. Luther-W Bd. 8, S. 51) (c) Vandenhoeck und Ruprecht. Ich finde auf die Schnelle keine andere Stelle, an der sich Luther mit dieser Frage beschäftigt hätte. Es ist anzunehmen, dass das kein Thema für ihn war und er einfach die Tradition übernommen hat. ↩︎